Gekommen um zu bleiben
Ich möchte den Immobilienmarkt in Berlin nicht analysieren. Es reicht zu wissen, dass es ziemlich schwierig ist, eine Wohnung zu finden. Bei der Besichtigung einer Wohnung können in extremen Fällen bis zu 30-80 Personen gleichzeitig anwesend sein. Zusätzlich muss man mit vollständigem Bewerbungsmaterial erscheinen (Einkommensnachweis, Schufa, Empfehlung eines ehemaligen Vermieters). Und auch unrealistisch hohe Preise werden oft verlangt. Deshalb begann die Wohnungssuche Ende 2018 mit leichten Magenkrämpfen für mich. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch in Ungarn in der Reha – aber ich wollte zurück nach Berlin um dort wieder zu arbeiten. Meine damalige Berliner Wohnung hatte einige Stufen, die zum Eingang der Wohnung führten – ein unüberwindbares Hindernis für mich.
Nach langer Suche, Telefongesprächen und dem Austausch zu den Wohnungsabmessungen (z.B. den Türbreiten für den Rollstuhl) konnten wir Termine für die Besichtigung von drei Apartments vereinbaren. Zum Glück war es genug, um für ein langes Wochenende nach Berlin zu fahren. Am Tag vor dem ersten Termin, machten sich Papa und ich auf den Weg von Ungarn zum fast 1.000 km entfernten Berlin. Etwa 100 km vor Berlin bemerkten wir ein seltsames Geräusch am Auto. Wir hielten an und prüften das Auto, konnten aber die Ursache des Geräusches nicht identifizieren. Trotzdem sind wir ohne Probleme, aber sehr langsam, in Berlin angekommen.
Ich war bereits im Bett, als ich nach der Schlaftablette in meiner Medikamentenbox suchte. Ich nahm sie damals immer noch. (Darüber kannst du mehr in meinem Beitrag Besser Hanf rauchen als ins Gras beißen lesen) Ich konnte die Tabletten aber nicht finden, obwohl ich sicher war, dass ich sie eingepackt hatte. Ohne sie bin ich damals nirgendwo hingegangen. Mir fiel ein, dass sie vielleicht aus meiner Tasche gefallen sein könnten und irgendwo im Auto lagen.
Papa ging raus, um sie zu suchen. Er sagte, er sei im Vierfüßlergang durch das Auto geklettert – halb im Auto und halb mit dem Po zur Straße. Einige Passanten mussten dabei sogar schmunzeln. Trotz der mühsamen Suche, fand er sie nicht – So habe ich eine sehr-sehr lange Nacht gehabt.
Am nächsten Morgen machten wir uns zum ersten Termin auf den Weg. Die Wohnung sah sehr gut aus, war völlig barrierefrei, geräumig und zentral gelegen. Meine Entscheidung war bereits getroffen, wir wollten aus Sicherheitsgründen aber noch zum nächsten Termin. Dieses Mal lieber mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, da das Auto noch immer unheimlichere Geräusche machte. So mussten wir zuerst noch zur nächsten Fachwerkstatt um es zu reparieren lassen.
Dort stellte sich schnell heraus, dass das Getriebe ruiniert war und wir keine Chance hatten zur geplanten Zeit damit nach Ungarn zurückzufahren – So fand mein erster Flug mit Rollstuhl statt und so ist mein Vater später allein nach Berlin geflogen, um das reparierte Auto nach Ungarn zurückzubringen. Darüber werde ich in einem späteren Beitrag berichten.
Aber zurück zur Wohnungssuche: Am Abend nahmen wir zur zweiten Wohnungsbesichtigung ein Taxi. Die Maklerin kam mit enormer Begeisterung, aber etwas spät an. Eigentlich hätte sie überhaupt nicht kommen müssen. Als wir das Treppenhaus betraten, sahen wir den Aufzug. Aber dann auch die 3 Stufen, die zum Aufzug führten :-/ Die junge Frau breitete naiv die Arme aus und empfahl uns, dass wir uns die Wohnung trotzdem ansehen sollten. Papa kann mir ja helfen, um die Stufen zu schaffen. Zu meiner kritische Frage, wie ich hier alleine klar kommen soll, machte sich Frustration in ihrem Gesicht breit. Sie wollte uns trotzdem unbedingt die Wohnung zeigen (mit dem Zusatz „dort warten doch extra die derzeitigen Bewohner auf uns“) und dann kam für sie schnell die Enttäuschung, als ich ihr sagte, wir werden nicht in die Wohnung gehen, da es keinen Sinn hat. Ich fragte mich, wozu ich eigentlich mehrmals gesagt habe, dass ich im Rollstuhl sitze und nur barrierefreie Häuser in Frage kommen – auch für mich war es verschenkte Zeit.
Wir gingen etwas geknickt nach Hause. Wir fuhren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich dachte, es wäre ein gute Gelegenheit, die Berliner Gegebenheiten im Rollstuhl kennenzulernen. Wir hätten mit einer einzigen U-Bahn ohne Umstieg nach Hause kommen können. Na ja, falsch gedacht. Berücksichtig man meinen Orientierungssinn, die Baustellen, den Mangel an Fahrstühlen und das unglaublich kalte Wetter sind wir erst nach 2,5 Stunden angekommen und das gestaltete sich so:
Der Weg von der Wohnungsbesichtigung zur U-Bahn-Station waren nur wenige Meter – diese Haltestelle war aber unerwartet aufgrund von Bauerarbeiten gesperrt. Also mussten wir „zu Fuß“ zur nächsten Station. Anfangs betrachtete ich es noch als ein gutes Workout für mich. Heute weiß ich nicht mehr genau, ob ich die Strecke alleine geschafft habe oder mir mein Vater zwischendurch helfen musste – jedenfalls kam ich völlig erschöpft an der neuen Haltestelle an. Und es gab den nächsten Schreck – die Station hatte keinen Fahrstuhl. Dazu muss ich noch sagen, dass die U2 eine Linie ist, bei der viele Stationen getrennte Bahnsteige pro Fahrtrichtung haben. Deshalb rannte mein Dad die Treppe eines Eingangs hinunter und machte ein Foto vom Fahrplan, damit ich entscheiden konnte, ob es die richtige Richtung ist. Na ja, ich habe bereits erwähnt, wie schlecht ich mich orientieren kann. Das war jetzt nicht anders. Papa brachte mich also die unendlich vielen Stufen in die U-Bahn hinunter und siehe da … „Es war natürlich doch die falsche Richtung“. Der nächste Schritt wäre gewesen, dass Dad mich die Treppe wieder hochzieht und wir dann den Zugang für die andere Richtung wieder herabsteigen. Glücklicherweise tauchte eine andere Lösung auf – Wir fahren einfach in die entgegengesetzte Richtung, steigen an einer Haltestelle mit Lift aus und können dann problemlos die Fahrtrichtung wieder ändern.
Nach ungefähr 3 Stationen kam dann eine Haltestelle, an der es einen Aufzug gab. Obwohl wir noch eine Weile brauchten um ihn zu finden, waren wir glücklich es endlich geschafft zu haben. Doch wir hatten uns zu früh gefreut, denn aufgrund der Bauarbeiten, mussten wir dann doch die Linie wechseln. Zu allem Überfluss auch noch am Bahnhof Alexanderplatz – einen Umsteigeknotenpunkt mit dutzenden Bahnsteigen und Zwischenebenen – alle mit eigenen Aufzügen. Es dauerte eine halbe Stunde um die richtige Aufzugskombination zur richtigen U-Bahn zu finden.
Dann kamen wir endlich zu Hause an. Total erschöpft und voller Angst und Panik für die Zukunft. Papa erwähnte es zum ersten Mal und vielleicht auch zum letzten Mal, dass es vielleicht keine so gute Idee ist, alleine nach Berlin zurückzukehren. Zu der Zeit wurde die Vergütung für die häusliche Pflege erhöht. Daher stellte er auch die Frage, ob ich zu Hause bei ihnen bleiben könnte und er oder seine Freundin ihren Job aufgeben und sich um mich kümmern würden. Ich war völlig verrückt, ich verstand es nicht. Tatsächlich war ich empört darüber, dass sich so etwas in seinem Kopf gedreht hatte. Und ich konnte es nicht verstecken. Inzwischen tut es mir leid, dass ich so reagiert habe. Ich hätte lieber dankbar sein sollen, dass sie ein solches Opfer gebracht hätten. Ich bin es heute!
Schließlich beruhigten wir uns. Der durch die Erlebnisse verursachte Stress ließ nach und wir bereiteten uns auf den Schlaf vor. Wir besprachen noch schnell den Plan für den nächsten Tag. Ich wollte die Besichtigung der dritten Wohnung absagen, denn ich hätte die Erste bekommen, die ich sowieso wollte. Dann überredete mich mein Dad aber zum Glück sie uns doch anzusehen. Und wie gut er es gemacht hat! In dem Augenblick in dem wir in der Wohnung ankamen, fühlte und fühle ich mich bis heute auch zu Hause 🙂 Und das obwohl sie nicht hundertprozentig barrierefrei ist – aber Herausforderungen habe ich schon immer geliebt.
Hätte ich mit der Besichtigung der dritten Wohnung begonnen, hätte es mir viel Stress erspart, aber ich hätte auch keine Geschichte gehabt, um sie Euch hier zu erzählen 🙂 Und es bleibt zu sagen – Dad hat nicht immer Recht – aber ab und zu schon 😉


2 Kommentare
Elvira
Ezt is jó volt olvasni!
mynotsoperfectlife
Köszönöm, örülök neki 🙂