Freizeit

Und JETZT?

Ich habe einen sehr intensiven, ereignisreichen Sommer hinter mir und der Herbst ist auch bald vorbei. Ich glaube nicht, dass ich mir in der nächsten Zeiten viele Gedanken über das Thema meiner nächsten Beiträge machen muss.

Dieses Mal handelt es sich jedoch nicht um einen Erlebnis-Bericht. Ich möchte euch erzählen, wie unterschiedlich wir Rollstuhlfahrer sind.
Es gibt viele Gründe, warum jemand gelähmt werden kann. Es kann sich um eine genetische Krankheit, einen Unfall, einen Tumor oder einen medizinischen Fehler handeln. Eine Person kann komplett oder inkomplett gelähmt sein. Ich hörte immer wieder von allen Ärzten, dass jeder Fall einzigartig ist. Keiner gleicht dem anderen. Die Heilungschancen sind von nun an unvorhersehbar und es ist unmöglich vorherzusagen wer am Ende welche motorischen Fähigkeiten haben wird. Welcher Grad an Hirnaktivität beeinträchtigt sein wird oder wo und was man fühlen wird und was nicht. Es ist Glückssache.

Es gibt Menschen, die gelähmt sind und trotzdem Marathon laufen (er hat seine motorischen Funktionen wiedererlangt, kann aber seine Beine nicht spüren). Andere gehen und tanzen wie vorher, müssen aber einen Katheter benutzen. Wieder andere können aufstehen und mit dem Rollstuhl in der Hand die Treppe hinuntergehen, wenn der Aufzug kaputt ist.

Immer wenn ich einen „Leidensgenossen“ treffe, ist eines der ersten Gesprächsthemen, was und wann es passiert ist, wie schwer die Verletzung ist, was sie noch machen können und welche Funktionen sie behalten haben oder während der Genesung gerade wieder aufnehmen. Wenn wir uns etwas besser kennengelernt haben, geht es um die Themen Verarbeitung, Akzeptanz, Tiefpunkte und wo wir gerade stehen. Und wo auch immer wir sind, der Weg dorthin war mit Sicherheit holprig, und der Weg vor uns wird auch nicht leichter werden.

Und wo bin ich jetzt? Ich glaube, mir geht es im Moment ziemlich gut. Ich kann akzeptieren, was gerade  gibt. Ich akzeptiere, dass es viele Dinge gibt, die ich nicht mehr tun kann oder die ich aufgeben musste. 
Und trotz alledem, oder vielleicht gerade deswegen, gehe ich immer wieder an meine Grenzen und probiere Dinge aus, von denen nicht klar ist, ob ich sie tun kann. Oder ob sie grundsätzlich mit Rollstuhl möglich wären, unabhängig von meinen individuellen Fähigkeiten.

Ein solcher Grenzgänger war der Besuch im Vabali vor ein paar Wochen. Es ist ein beliebter Sauna-Ort in Berlin, eine Insel der Ruhe. Mit vielen Saunen, einem großen Innenhof und bequemen Wasserbetten. (www.vabali.de)
Es ist wichtig zu wissen, dass die deutsche Saunakultur eine andere ist als die Ungarische. Man findet dort kaum Orte , an denen ein Badeanzug erlaubt ist.

Und an dieser Stelle würde ich zur Akzeptanz zurückkehren. Ob Ihr es glaubt oder nicht, ich brauchte eine ganze Menge davon 😀 Und nein, es war nicht genug. Zumindest in der ersten Minuten, vielleicht auch in der ersten Stunde. Es war nicht leicht, meinen Körper anzunehmen. Er hat sich verändert. Meine Beine sind dünn geworden, fast nur noch Haut und Knochen. Und es ist, als ob alles, was aus meinen Beinen verschwunden ist in meinen Bauch gekrochen wäre. Ich versuchte, es irgendwie zu verbergen und trotzdem nackt zu bleiben. Das war natürlich lästig und ich habe die ganze Zeit damit verbracht statt abzuschalten und die Ruhe zu genießen. Irgendwann habe ich es aufgegeben meinen „Fehler“ zu verbergen. Und es hat sich sehr gelohnt.

Abgesehen von ein oder zwei neugierigen Blicken war es nicht viel anders als vorher, vor dem Rollstuhl. Die Herbstsonne brannte in meinem Gesicht beim Liegen auf der Sonnenliege, wie früher. Die kalte frische Luft nach dem Saunagang hat auf meiner Haut genauso geprickelt und in der Sauna schwitzte ich fast so stark wie früher. Niemanden interessierte es, wie ich aussah und was meine Beine machten, wenn die Spastik einsetzte. Von da an ging es nur noch um mich, um uns und die Entspannung.

Und wisst ihr was? Diese Ängste, die Sehnsucht nach Normalität und akzeptiert zu sein, sind nicht nur bei Rollstuhlfahrern oder anderen Behinderten zu finden.
Ich bin mir sicher, dass ich nicht die Einzige war, die sich an diesem Tag im Vabali Sorgen um ihren Körper machte.

Aber warum tun wir das? So wie es keine zwei Rollstuhlfahrer mit den gleichen Fähigkeiten gibt, so gibt es auch keine zwei gleiche gesunde Menschen mit den gleichen Fähigkeiten.
Manche sind gut in Mathematik, manche können schön zeichnen und manche haben eine schöne Singstimme. Und es gibt große oder kleine Menschen, Pummelige und Dünne.

Und wie einfach es ist, dies alles zu beschreiben. Aber um an diesen Punkt zu gelangen, musste ich erst einmal gelähmt sein. Langsam schlich sich die Akzeptanz in mein Leben. Die Male, in denen ich mich eingenässt habe oder in denen mein Abendessen verbrannt ist, weil ich den Topf nicht hochheben konnte. Die Male bei denen ich aus dem Auto gefallen bin und in denen mich alle im Flugzeug neugierig anstarrten, wenn ich zu meinem Sitzplatz begleitet/getragen wurde. Die meisten der Sorgen, die ich mir vor dem Rolli gemacht habe, erscheinen mir jetzt so winzig und lächerlich.

Andererseits gibt es eine Menge Dinge, die ich nicht akzeptiert habe. Ich habe mich nicht damit abgefunden, dass ich vielleicht in diesem Rollstuhl alt werde, dass ich vielleicht keine Kinder haben werde. Ich habe nicht akzeptiert, dass ich kein Haus mit Garten haben kann, dass ich nicht mehr Achterbahn fahren kann, dass ich nicht mehr die Klamotten tragen werde, die ich früher trug. Ich habe nicht akzeptiert, dass ich nicht mehr zelten und keine Berge mehr besteigen werde.

Ich glaube nicht, dass man alles und vor allem alles auf einmal akzeptieren kann. Nur die gegenwärtige Situation, nur das JETZT, dieser Moment. Ich versuche, so viele Momente wie möglich auf diese Weise zu erleben. Das heißt aber nicht, dass ich keine Veränderung will, dass ich mich nicht darum bemühe. Ich tue es ständig für mich.

Manchmal bin ich in vielen Dingen von dem Wunsch getrieben mich zu beweisen. Um mir zu beweisen, dass der Rollstuhl mein Leben nicht völlig verändert hat. Dass es immer noch möglich ist, vieles so zu machen wie früher. Das ER mir nicht so viel wegnehmen kann. Deshalb zwinge ich mich manchmal in Situationen, vor denen ich Angst habe, die mir unangenehm sind, nach denen ich mich aber tief im Inneren sehne. (Siehe Vabali)

Hmm, aber passt es überhaupt in die Definition von Akzeptanz hinein? Oder ist das nur ein Hinweis darauf, dass ich nicht einmal annähernd so weit bin? Warum sonst sollte ich mir auf Schritt und Tritt beweisen wollen, dass sich nicht alles geändert hat? Warum sollte ich mich in Situationen zwingen, vor denen ich Angst habe, wenn ich sie akzeptiert hätte?

Aber auf der anderen Seite ist es dieses Streben, das mich antreibt, das meinen Alltag und letztlich meinem Leben einen Sinn gibt und mit Inhalt füllt. Und ich denke, das ist auch gut so.

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